
Der spanische Verband wackelt bedenklich. Und das schon länger. Bereits Monate vor der WM in Australien und Neuseeland in diesem Sommer verzeichnete der Seismograph in den Verbandsbüros im Madrider Vorort Las Rozas ein heftiges Beben. Nach der EM 2022 sendeten 15 Spielerinnen, 12 davon aus dem EM-Kader, eine Mail an den Verband, in der sie bekundeten, unter den aktuellen Zuständen nicht mehr für die Nationalmannschaft auflaufen zu wollen, da die Zustände in deren Umfeld ihre mentale Gesundheit beeinträchtigen würden.
Dass diese Mails nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren, interessierte die Verantwortlichen im spanischen Verband (RFEF) herzlich wenig. Das Schreiben wurde als Rücktritt verstanden und auch als solcher verkündet. Die Spielerinnen mussten sofort dahingehend zurückrudern, dass ihre Beschwerde keineswegs ein Karriereende in der Nationalmannschaft bedeute. Die Härte und das Unverständnis, die der Verband in diesem Fall gegenüber seinen Spielerinnen zeigte, lassen tief blicken. Denn sie sind bei weitem nicht die einzigen Probleme, mit denen die RFEF zu kämpfen hat. Und viele von ihnen sind miteinander verwoben.
Patriarchisch und kontrollierend
Im Fall der 15 „Rebellinnen“ äußerten sich die Spielerinnen, die unter anderem auch von den zu der Zeit verletzten Alexia Putellas und Jennifer Hermoso Unterstützung bekamen, nicht genauer, was die „jüngsten Vorkommnisse“ seien, die sie als belastend für ihre mentale Gesundheit beschrieben. Es steht allerdings als offenes Geheimnis im Raum, dass es dabei vor allem um Jorge Vilda und dessen Methoden und Verhalten ging, das als patriarchisch und extrem kontrollierend beschrieben wird. Laut Berichten sollen die Spielerinnen beispielsweise nachts ihre Zimmertüren geöffnet lassen, damit Vilda die Einhaltung der Nachtruhe überwachen könne.
Die Proteste der Spielerinnen blieben ohne Erfolg. Der spanische Verband unter Präsident Luis Rubiales wehrte sich lautstark gegen die Vorwürfe und stellte sich vor seinen Trainer. Den Spielerinnen wurde verboten, zur Nationalmannschaft zurückzukehren, bis sie sich nicht entschuldigt hätten. Keine leere Drohung: Nur drei der 15 Spielerinnen durften mit nach Australien fliegen. Auf Unterstützung aus dem Verband konnten sich die Spielerinnen nicht verlassen. Sportdirektor und damit mögliche Ansprechperson war bis zuletzt ebenfalls Jorge Vilda.
Affront um Affront
Eben jener führte die spanischen Fußballerinnen zehn Monate nach den Vorwürfen gegen ihn zum WM-Titel. Bei der Siegerehrung zwang Verbandspräsident Rubiales Jennifer Hermoso einen Kuss auf—den sie danach als „sexistisch und unangebracht“ bezeichnete. Schon direkt nach der Siegerehrung äußerte sie sich während eines Livestreams auf Instagram zu dem Vorfall, beteuerte, dass ihr der Kuss nicht gefallen habe. Umso dreister erscheint daher die Reaktion des spanischen Verbandes, der Hermoso nur Stunden nach dem Vorfall die Worte in den Mund legt, der Kuss wäre einvernehmlich gewesen. Die Spanierin äußerte sich daraufhin und erklärte, dass sie diese Aussagen nie getätigt und Rubiales sie ohne ihr Einverständnis geküsst habe. Später bemühte sich der Verband anhand vierer Bilder, Rubiales Unschuld zu beweisen. Auf den Fotos sollte man laut Mitteilung erkennen können, dass Hermosos Körpersprache als Zustimmung zum Kuss zu verstehen ist. Von vielen Seiten wird dieser Versuch, Rubiales zu schützen, als weiterer Affront gewertet.
Als Reaktion auf die Vorfälle gibt es nun fast ein Jahr nach dem ersten Streik einen weiteren. Diesmal sind es über 80 Spielerinnen—darunter der gesamte Kader der Weltmeisterinnen. Sie haben verkündet, nicht mehr für die Nationalmannschaft auflaufen zu wollen, solange die Führungsriege des spanischen Verbandes weiterhin im Amt sei.
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